JOERG WAEHNER
„Vier Brüder und ein Urgroßvater“ - Ein Video-Film-Projekt
FRANZ MOLCH 1871 - 1941
Franz Molch wird am 26. März 1871 in Liebotitz (Libědice), Kreis Kaaden (Kadan) in Nordböhmen auf dem Gebiet der k.u.k.-Monarchie Österreich-Ungarn geboren. Nach der Übersiedlung der Familie ins Sächsische besucht er für acht Jahre die Volksschule in Ehrenfriedersdorf, mit Zwölf arbeitet er bereits in einer Schuhfabrik und wird nach zweijähriger Ausbildung mit Neunzehn Posamentierer1 in Chemnitz. Als Zwanzigjähriger genügt er seiner Militärpflicht und geht anschließend für anderthalb Jahre auf Wanderschaft nach Schweizermühle, Teplitz und Prag. Zurück in Ehrenfriedersdorf arbeitet Franz Molch in seinem Beruf und wohnt in dieser Zeit bei den Eltern. Nach zwei Jahren bricht er erneut auf und ist in Nürnberg, Mannheim und Düsseldorf als Posamentierer tätig.
Mit der Nachricht vom Tod der Mutter kehrt er in den Heimatort zurück, um kurz darauf für zwei Jahre als Werkführer nach Mailand zu ziehen. Auf ein Stellenangebot wechselt er nach Warschau, wo er seine Frau kennenlernt und 1898 heiratet. Aus der Ehe gehen zwei Söhne und eine Tochter, die mit vier Jahren an Diphtherie stirbt, hervor.
Nach zehn Jahren Selbständigkeit verlässt Franz Molch mit seiner Frau und den beiden Söhnen die Stadt an der Weichsel wieder Richtung Ehrenfriedersdorf. Um die Familie durchzubringen, arbeitet er ein halbes Jahr in Brünn, nimmt Stellen in Chemnitz an und betreibt dort in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ein eigenes Posamentengeschäft. 1913 wird er geschieden, hält aber weiterhin Kontakt zu seiner Frau, vor allem zu den beiden Söhnen.
1915, im Alter von 43 Jahren, wird Franz Molch zum Infanterieregiment „Kronprinz“ eingezogen und nach Belgien zum Grenzschutz kommandiert. In den Nachkriegswirren kann er seine Häkelgallonmaschinen, die bei einem Spediteur eingestellt waren, nicht mehr auslösen. Er kellnert, schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Auf sich allein gestellt, ohne Lebens- und Berufsperspektive, verliert Franz Molch stetig den Boden unter den Füßen und kommt mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Zuletzt arbeitet er 1929 als Hausmeister.
Ab 1934, dreiundsechzigjährig, bezieht Franz Molch Wohlfahrtsunterstützung: 8,50 RM wöchentlich. „Vermittlung in Arbeit scheint des Alters wegen aussichtslos“, schätzt das Wohlfahrtsamt die Situation ein. Als ihm ohne Begründung und ohne Nachweis die Rente gekürzt wird, fürchtet er um seine Existenz. „Er hat Beschwerde erhoben gegen einen mit dem Hakenkreuz, weil er ihm 3 Wochen hintereinander 50 Pfg von der Rente abgezogen hat“, notieren die Beamten. „Das schlimmste bei dem Molch ist zunächst sein ungebührliches Verhalten, das geeignet ist, in den Räumen des Wohlfahrtsamtes Beunruhigung hervorzurufen. Man kann nicht einfach darüber hinweggehen, wenn jemand in den Amtsräumen brüllt. Molch hat auch, nachdem er aus dem Zimmer gewiesen wurde, noch auf dem Gang herumgeschimpft. Es mag sein, dass er nicht voll verantwortlich gemacht werden kann für seine Reden, aber das ändert nichts an der Wirkung. Auch außerhalb des Amtes wird eine solche Person nicht zurückhaltender sein, so dass erwogen werden möchte, ob die Allgemeinheit nicht vor deren Anwürfen geschützt werden kann.“ Bereits zuvor „wurde daher im Juni 1938 die polizeiliche Vorbeugehaft erwogen. Molch befand sich bereits in polizeilicher Verwahrungshaft. Bei der damaligen ärztlichen Untersuchung wurde er als nicht lager- und arbeitsfähig befunden. Seine Unterbringung ins Konzentrationslager (KL) ist abgelehnt worden.“
Am 23. November 1939 kommt es wegen der Rentenkürzung erneut zu einem Vorfall im städtischen Wohlfahrtsamt. Da er sich weigert, seinen Einspruch zurückzunehmen („Ich habe Beschwerde geführt gegen einen mit dem Hakenkreuz, der mir wiederholt 50 Pfg von der Rente (8,50 M) abgezogen und in die eigene Tasche gewirtschaftet hat.“), und sich lauthals und verzweifelt beschwert („Hier müßte mal eine Granate einschlagen!“), wird Franz Molch daraufhin „wegen ungebührlichen, frechen und drohenden Verhaltens in einem städtischen Amt polizeilich der Nervenklinik Chemnitz überwiesen.“ Am 4. Januar 1940 wird er nach Zschadraß, in eine sogenannte „Zwischenanstalt“, verlegt und nach mehr als anderthalb Jahren Aufenthalt, „immer ruhig, geordnet und unauffällig“, nach Pirna-Sonnenstein gebracht, wo er am 12. August 1941 mit anderen Patienten durch Kohlenmonoxid getötet wird.
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1) Posamente: textile Besatzartikel wie Borten, Fransen, Quasten, Schnüre an Kleidern
Blog zum Film-Projekt:
Trailer:
REMEMBRANCE
„VIER BRÜDER & EIN URGROSSVATER“
Ein Stolperstein für Franz Molch:
Chemnitz 10. September 2014
10. September 2014, 13:10 Uhr
Gelände der Klinik für Psychiatrie, Verhaltensmedizin und Psychosomatik
09131 Chemnitz, Dresdner Straße 178
Rede zur Stolpersteinverlegung des Kölner Künstlers Gunter Demnig,
gehalten von Joerg Waehner, dem Urenkel von Franz Molch, der hierher zwangseingewiesen wurde, um anschließend im Rahmen der „Aktion T4“ am 12. August 1941 in Pirna-Sonnenstein ermordet zu werden.
Es war im Jahr 1982, als ich das erste Mal über die Geschichte meines Urgroßvaters, Franz Molch, gestolpert bin. Ich war zur Nationalen Volksarmee eingezogen worden, als Soldat einer Pioniereinheit im sächsischen Pirna. In der Kaserne hörte ich von älteren Kameraden vom Sonnenstein, als Ort, wo es prima Kneipen geben sollte.
Sonnenstein? Pirna-Sonnenstein? Da war doch was... (WEITERLESEN)
erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus - bis 13.07.2014
Topographie des Terrors
Niederkrichnerstr. 8, 10963 Berlin
Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Joachim Gauck präsentiert die DGPPN in Kooperation mit den Stiftungen Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Topographie des Terrors eine Wanderausstellung, die NS-Opfer ins Zentrum rückt, die lange am Rande des öffentlichen Interesses und Gedenkens standen.
Mehr Informationen ... (externe Seite)
2.09.2014 Einweihung der Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasie
Franz Molch im Bundestag - neben dem Bild von Gerhard Richter unter dem Kapitel „Familienerinnerungen“:
Rekonstruiertes Porträt des ermordeten Franz Molch
Sein Urenkel Joerg Waehner schreibt 2013:
„Viele Jahrzehnte existierte über meinen Urgroßvater nur ein Brief aus der NS-Zeit mit gefälschten Todesangaben. In jahrelangen Archivrecherchen habe ich sein wirkliches Todesdatum in Pirna-Sonnenstein herausfinden können. Aus allen verfügbaren Informationen und auf der Grundlage von Familienfotos habe ich dieses Porträt erstellen lassen. Das ist das einzige Bild meines Urgroßvaters. Damit wollte ich ihn – der getötet wurde und nicht mehr vorkommen sollte – wieder in unsere Gemeinschaft zurückholen. Darum ist dieses Bild so wichtig.“
"Die Wanderausstellung der DGPPN wurde in Kooperation mit den Stiftungen Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Topographie des Terrors erstellt und bereits von mehr als 340.000 Menschen besucht. Nachdem sie 2014 im Deutschen Bundestag unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet wurde, war sie national und international an mehr als 30 Standorten zu sehen."
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https://www.dgppn.de/schwerpunkte/psychiatrie-im-nationalsozialismus/wanderausstellung.html
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