JOERG WAEHNER
2003
Ein Ostdeutscher wandert nach Amerika aus?
Genau so ist es. Die Schlagersüßtafel hängt zum Hals, das FDJ-Hemd zur Boxerjeans raus. Die Ostalgiewelle droht uns zu überollen.
Momentan bekommen die Ostdeutschen ihre Geschichte auf dem Niveau von Unterhaltungsshows und Yellow Press lau aufgewärmt noch einmal aufgetischt. Manch abgehalfterte Figur wird als "unser Star" aus der Versenkung geholt, den außer den Bewohnern des "Tals der Ahnungslosen" nie jemand gekannt hat. Es sei denn, man erwischte beim Umschalten von ARD zu ZDF versehentlich den falschen Knopf.
Der infantile Spaßfaktor des Erinners kippt ins Politisch-Groteske, wenn die DDR zum besseren deutschen Staat verklärt wird. Nur Auswandern verspricht Rettung vor der Ostflut. Luxus ist ein wirksames Gegenmittel gegen aufkommenden Brechreiz angesichts des Schwelgens in Erinnerungen an die Geborgenheit im biederen Plattenbau-Kommunismus.
Jetzt kann auf den Fernsehkanälen mit Kati &Co weitergeschunkelt werden.Ohne unseren Ossi, wohlgemerkt. Der flüchtet vor der DDR-Verklärung für ganze zehn Tage per Schiff ins Exil nach Amerika.
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit weise ich Sie auf den zweiten Teil meines Kunstprojekts "Amerika ist ein U-Boot im Goldfischteich oder ein Genie ist kein Mietwagen" hin. Der erste Teil wurde in der Galerie Wohnmaschine und dem Kaffee Burger in Berlin präsentiert.
Das Video-Projekt erzählt die Geschichte einer Auswanderung. Diese beginnt im Jahr 2000 auf einem Containerschiff nach New York. Weitererzählt wird sie jetzt mit der "Queen Elisabeth 2" auf ihrem Weg in die Neue Welt, die drei Jahre später ein verändertes Gesicht zeigt. Auf der letzten Fahrt der "QE2" kann jeder dabei sein. Über die Internetseite www.oe-ae.de reisen Interessierte ohne Gefahr von Seekrankheit (interaktiv) einfach mit.
1.10.
8.15 Uhr Berlin Tegel: Good bye, Germany! Landung in London Heathrow und in 1 1/2 Stunden mit dem Bus-Shuttle nach Southamton.
16:00 Uhr Einschiffung unter dem Union Jack, 50 Flaggen haengen von der Abfertigungshalle.
1682 Passagiere gehen an Bord. Noch einmal dabei sein, wenn die QE2 nach NY auslaeuft. Krankheit ist kein Hinderrungsgrund. Verstehen kann ich das wenig spaeter, betrete ich diese schwimmende Luxuskleinstadt...
17:00 Ablegen. Diesig. Regen setzt ein. Ade Southampton, bye Europa - mit einem Glas Champagner in der Hand ..."Salute!" rufen viele.
Der Stuart zeigt mir meine Kabine, Schluessel und ID Card in der Hand laufe ich erstmals in Abendgarderobe zum Dinner: Sechs Gaenge. Und das die naechsten 6 Tage lang, jeden Mittag und Abend...
Auf einer der Buehnen wird Klassik gespielt, auf einer anderen ein Broadwayprogramm, draussen sprudelt der Pool und das Thermalbad ... Die erste Nacht an Bord, auf dem Meer und der QE2.
2.10.
Mit einem Amerikaner, Jim aus Virginia, beim Fruehstueck, lange Unterhaltung. Er laestert ueber Bush...
Ich schaue aufs Meer, schreibe auf dem Laptop... Tee und Kekse werden gereicht.
14:00 Auktion: Picasso, Chagall, Dali ohne Steuer und Rahmung inklusive, weit unter Galeriepreis...
Am Abend zum Kapitaens-Dinner, Dress Code: Smoking.
3.10.
Bilder kann ich leider im Moment nicht senden...
In der deutschsprachigen Zeitung, die zum Morgen in der Kabine liegt, wird zum Tag der deutschen Einheit Ulrich Muehe zitiert: Ostdeutsche liessen sich leicht koedern und bezieht sich auf die DDR-Shows etc., die ihnen die eigne Geschichte so platt praesentieren wuerden.
Das Wetter ist sonnig, auf den verschiedenen Decks sind die Stuehle plaziert, Buecher in den Heanden der Passagiere...
Zum Morgen wird zur Entspannung getanzt, es gibt Massagen, erbauliche Unterhaltung, spaeter Signierstunde eines englischen Kinderbuchautors.
4:00 pm Afternoon Tea mit Spezialiteaten aus der schiffseigenen Baeckerei, serviert von Kellnern in Weiss. Die Blumen auf den Tischen und ueberall auf dem Schiff sind jeden Tag frisch. Es wird Golf und Shuffelboard gespielt... "Very british" ist der Umgang an Bord. Ledersessel in der Bibliothek, im Queens Room Samt und immer der Blick aufs Meer...
Eine weitere Kunstauktion: von Rembrandt eine Zeichnung, handsignierte Picassos und zu gewinnen ein Bild zu 800 $.
8:00 pm zur Party mit dem Kapitaen wird Champagner gereicht und es gibt ein Foto mit Hand Shake.
Er scherzt "enjoy the Captain" und Ian McNaught erzaehlt, dass wir zwei Autos und einen Hund an Bord haben. Die Ladies sind entzueckt...
Das teagliche Dinner ist stets formell und findet in gehobener Athmosphaere statt. Die Menüfolge des östereichischen Meisterkochs jeden Tag ist ein Erlebnis...
Am Abend die Show HOLYWOOD ist professionell und unterhaltsam. Als spielten die Akteure vor einer eingeschworenen Gemeinschaft.
Roulettische drehen sich im Casino, die Bars sind nie ueberfuellt...
Alles ist im Ueberfluss vorhanden, als wuerde nichts jemals enden... eine Insel der Glueckseligen.
4.10.
Der Morgen sonnig, die See ist ruhig.
Breakfast mit Meerblick, Spaziergang an Deck und spaeter preasentiere ich einigen Mitreisenden etwas von meiner Arbeit zum 4 o'Clock Tea.
4000 Meter Meerestiefe, im Durchnitt 23,1 Knoten. Wir naehnern uns Amerika in Meilen.
Heute wird das Queens Dinner von 1957, das die Koenigin an diesem Tag bekam, serviert. Der Tag des Sputnik-Schocks. Damals zu sehen auch an Bord des Transatlantik-Liners. Im Abendshowprogramm: Petrina Johnson mit Liza Minelli-Songs.
Aus Sicherheitsgruenden darf die Bruecke (Kidnapping), der Maschinenraum (Bomben) und die Kueche (Gift) aus Furcht vor Anschlaegen nicht besichtig werden.
5.10.
Navigation: 9:46 (GMT) 7:46 Board time: 46 Grad 39,3 N, 52 Grad 8,8 W. Auf der Hoehe von Neufundland, Kurs 248 Grad, Geschwindigkeit 23,3 Knoten
Nach dem Breakfast: Sonnig, das Meer ist ruhig
11:15 Kapitaen Ian McNaught leitet die oekumenische Messe an Bord. Danach Basketball und Shuffleboard. Zum Nachmittag Jazz im Golden Line Pub.
8:30 pm Dinner: "Baked Alaska Ceremony" und 11:30 pm Gala Mitternachtsbuffet im Lido.
Am Nachmittag dichter Nebel, hohe Wellen. Abends Ball im Queens Room und spaeter die Show der Dance Company. Mitternacht: Sternenhimmel ueber dem naechtlichen Deck, windig.
6.10.
Sonniger Morgen, ruhige See. Beim Fruehstueck: Am Fenster ist ein Rudel Delphine zu sehen. Mr. Jim sieht wie Walter Matthau aus und macht eine Menge Witze am Tisch
Der letzte Abend auf der QE2: Fuer die Transatlantik-Kreuzfahrt gibt es ein Zertifikat von Cunard vom Kapitaen unterschrieben und ein grosses Abschluss Dinner.
Die Ausschiffungsformalitaeten morgen werden etwas Zeit in Anspruch nehmen. Anders als bei frueheren Atlantikueberquerungen werden aus Sicherheitsgruenden keine Beamten der Immigration vor dem Einlaufen im New Yorker Hafen aufs Schiff gebracht.
7.10.
Gegen 5:00 kommt der Lotse an der Ambrose Station an Bord.
6:00 durchfahren wir die riesige Veranzano Bruecke: Ueber dem Schiff brausen die Versorgungstrucks auf zwei Ebenen. Das morgendliche Dunkel ueber dem Schiffsdeck, dann die Lichter NY von fern, naeher kommend, links die Freiheitsstatue.
6:35 Auf der Steuerbordseite: Battery Island. Der Morgen steigt hinter den Wolkenkratzern auf, vorbei an Manhattan. Das Fehlen der beiden WTC-Tuerme in der Silhouette der Stadt wirkt wie eine optische Taeuschung.
Kurz nach 7:00 legen wir am QE2 Terminal von New York an: Pier 92, Berth 5 am Ende der 49th Street, West
Noch einmal auf dem Schiff ein fuerstliches Fruehstueck, fast nebenbei die Immigration und Ausschiffung. Durch den Zoll, und Good Bye zur QE2!
Schon stehen wir in den Strassen New Yorks, werden den Broadway herunter gefahren, quer durch die Stadt, dann Ground Zero, der Alptraum noch immer spuerbar. Die Orientierung an diesem Ort bleibt ein Suchen: Millenium Hotel, das Post Building, Century 21 im neunen Glanz...
Weiter zum Helmsley Hotel in die 42 Strasse: Einchecken und der Lift bringt mich in die 40. Etage. Meine Suite mit Blick auf das silberne Chrysler Building. Links davon im Fenster das Empire State Building, und ein Stueck weiter der Hudson River...
Wieder in den Strassen unterwegs, die 42. runter zum Times Square... Noch immer spuere ich ein leichtes Schwanken unter den Fuessen...
Die QE2 legt gegen 3:00 pm Richtung Kanada ab...
8.10.
6:30 Blick aus dem Fenster: Die Illumination am Empire State Building erlischt, die Morgen-Sonne spiegelt sich im Chrysler Gebaeude...
Beim Fruehstueck im Restaurant erinnern mich die Diplomaten der UN am Nebentisch an eine kleine Begegnung im September 2000: Damals befanden sich 120 Staatsmaenner zu einer wichtigen UNO-Sitzung in der Stadt. Drei Tage lang galt die hoechste Sicherheitsstufe. Im gleichen Helmsley-Hotel, in dem ich jetzt logiere, wohnten verschiedene Regierungschefs.
Castro traf gerade im Hotel ein und die Police Officers scheuchten uns Passanten auf die andere Strassenseite. Jetzt sitze ich hier mit meiner einfachen Hotel ID Card.
Im sonnigen New York in Village unterwegs: Kenneth Kole mit neuen Disigner Shops ist mehr und mehr "in". Das deutsche Supermodel H.K. tippt auf offener Strasse in ihren Palm und eilt zu einen naechsten Termin.
Am Abend wieder am Times Square und alles weitere ist secret... Fuer Morgen gilt es sich zu entscheiden zwischen dem Konzert von Radiohead im Medison Square Garden, der Lesung von Paul Auster Great Hall of Union in Village oder der Foto-Ausstellungseroeffnung in der CRG Gallery...
9.10.
Sonnig, warm zeigt sich die Stadt auch an diesem Donnerstag...Immer das schwankende Gefuehl am Morgen, entweder noch vom Schiff oder schon von der ungewohnten Hoehe im Hotel...
Dann sind die Orientierungspunkte mit Hudson, Empire und Chrysler Building wieder die Fixpunkte...
News: In Queens wird ein Bordell ausgehoben, ein Priester verhaftet, der die eigene Gemeinde bestohlen hat, Schlagzeile: "Der Priester aus der Hoelle". Passiert ein Unfall, wie vor zwei Tagen auf dem Highway nach New Jersey, kommt es in den News und in der Zeitung am naechsten Tag in allen Details mit Bild, Pfeilen, Fotos der Unfall-Opfer und deren Lebensstory...
An der Kreuzung 36. spekulieren Broker ueber das Empire State Building, wie sicher es vor einem Flugzeug waere, der Albtraum scheint noch immer nicht ueberwunden...
Die 42. Strasse wird nachts erneuert, der Verkehr laeuft fast unspektakulaer durch die Strassen, das NYPD versucht Sicherheit mit diskreter Praesenz zu zeigen...
Orthodoxe Juden in ihrem traditionellen Outfit fallen dem Besucher im Strassenbild auf. Zu Jom Kipur, dem Versöhnungsfest, wurden etlichen Juden die Autoreifen von extremen Glaubensbrüdern zerstochen, um das Fahren am Feiertag zu verhindern.
Am Nachmittag lasse ich mich auf einen Deal wegen einer Karte fuer Radiohead ein... Die Geschichten sind bekannt...
10.10.
Letzter Tag in NY: Der Morgen ist diesig, gegen mittag klaert sich der Himmel auf.
Das Tagesthema im Cafe: der gestrige Sieg der Yankees in Queens gegen Boston 6-2. Eine neue Morgenzeitung "am" ist seit heute kostenlos auf dem Markt:
+++Ein schwarzer Politiker der Demokraten aus Brooklyn steht wegen finanzieller Unregelmaessigkeiten in der Schusslinie+++Im Haus des "Priesters aus der Hoelle" wurden Pornos und Nazi-Symbole gefunden, er sei ein Fan des 2. Weltkrieges+++
s ist schwer jemanden anzusprechen, meistens wird telefoniert, Musik gehoert, im Laufen Kaffee getrunken. Fast ununterbrochen haben die New Yorker ihre Mobiles am Ohr, als wuerden sie so von einem unsichtbaren Netzwerk durch den Tag geleitet...
Am Montag ist Feiertag, der Columbus Day. Die Parade an der 5. Avenue wird vorbereitet, Tribuenen am Central Park aufgebaut. Halloween steht vor der Tuer, in den grossen Kaufhausern von Bloomies, Sacks und Lord & Tylor wird das Weihnachtsgeschaeft vorbereitet, die Aircondition bringt eine Erkaeltung, zu viele Yellow Cabs...
Zu schnell fuehlt man sich hier zu Hause, ist am Morgen im Strom der Passnten unterwegs, Zeitung und Kaffee in der Hand und das eigene Handy klingelt aus Europa...
Und doch, am 3.10. war ich auf dem Atlantik, am 7.10. Landing in New York... und gegen mittag werde ich mit einem Koffer mehr zum JFK chauffiert.
Im Flieger nach Frankfurt neben mir Domenika, Austauschstudentin aus Warschau. Sie schwaermt vom ihrem dritten Aufenthalt in New Hamshire, reicht mir ihr Glas und laechelt...